SI(s)tas – gropius bau (DE)

Panik erfasste Inyoni. Hadali, das verfluchte Königreich, erschien größer und tiefer, als sie es sich vorgestellt hatte. Sie befürchtete, Orpheus könnte die Last der Tiefsee nicht länger tragen. Die Außenwände des Unterseeboots vibrierten, die Gitter ächzten unter dem Druck und an den Fenstern bildeten sich Risse. Es würde nicht mehr lange standhalten. Djibril, der Chef der Armee, betrat aufgeregt die Kabine.
„Sind wir auf dem richtigen Kurs, Inyoni? Ich habe den Eindruck, dass wir tiefer sinken als nötig. Es wäre gefährlich, noch weiter runterzugehen. Wir steuern auf eine Katastrophe zu, du wirst uns alle töten!“
„Ich weiß nicht, Djibril. Baobab reagiert nicht mehr. Der Bildschirm ist gerade wegen des Drucks ausgegangen. Ich weiß nicht mehr weiter. Denkst du, ich sollte Mambamuntu Bescheid geben?“
„Ich fürchte, ja.“

Samudrakumari und Padaguboodam waren beeindruckt vom Fort Kota. Auf der abgrundtiefen Ebene Hadalis erhob sich die Festung eindrucksvoll vor ihnen. Diese Region wurde von vielen gefürchtet. Das Königreich, das lange Zeit unter ruhiger Herrschaft gelebt hatte, war von den Zungaré überfallen worden, als diese ihr Sternsystem nach der Invasion der Zweibeiner verlassen mussten. Ursprünglich waren die Zungaré friedliebende Kreaturen; sie hatten stets auf in Harmonie mit ihren Nachbarn zusammengelebt, bis zu dem Tag, an dem sie von den Zweibeinern überfallen wurden. Diese blutrünstige Spezies, die den Planeten Erde zerstörte, auf dem sie seit Jahrtausenden gelebt hatte, eroberte den Weltraum und vertrieb die Zungaré von ihrem Sternensystem. Zum Exil verdammt, blieb den Zungaré keine andere Wahl als den Himmel zu verlassen. Nach Jahren des Umherirrens erkundeten sie schließlich die Untiefen der Seen anderer Planeten und fanden Zuflucht in Hadali. Die Hadalianer waren ein uraltes Volk, das trotz seines Reichtums und seines weitreichenden Wissens vom Universum in aller Ruhe in einem abgeschiedenen Reich lebte. Ihre beispielhafte Weisheit und ihr Gerechtigkeitssinn hatten es ihnen erlaubt, sich aus den Konflikten und Kriegen herauszuhalten, die die Außenwelt heimsuchten. Als die Zungaré Zuflucht erbaten, hielten es die Hadalianer also für geboten, ihnen zu helfen, und sie empfingen sie mit offenen Armen.

Wie hätten die Hadalianer auch ahnen können, dass diese unglückliche Entscheidung für sie fatal sein und ihrem friedlichen Dasein ein Ende bereiten würde?

Kurze Zeit nach ihrer Ankunft machten die Zungaré eine Entdeckung, die das Schicksal des Königreichs für immer verändern sollte.
Weit entfernt von der abgrundtiefen Ebene Hadalis lag ein Gebiet, das die Hadalianer geheim hielten und das niemand aufsuchen durfte. Den Zungaré wurde erlaubt, im Königreich zu bleiben, solange sie diese goldene Regel respektierten. Niemand hatte das Recht, in diesen verbotenen Ort einzudringen. Trotz ihrer wachsenden Neugier hüteten sich die Zungaré, diesen geheimen Ort aufzusuchen. Doch da jedes Verbot missachtet werden muss, nutzten die Zungaré eines Tages die Gewogenheit der Hadalianer aus und stillten ihren Wunsch. Und als sie sich schließlich an den verbotenen Ort wagten, wussten sie augenblicklich, dass sie sich nicht mehr damit begnügen können würden, als bloße Gäste im Königreich von Hadali zu verweilen. Dieses verbotene Stück Land war in Wahrheit eine Mine, ein gewaltiger Schatz an Tiefseemineralen, jene von den Bewohnern der Unterwasserwelten des Universums so begehrten Rohstoffe. Das, was die Hadalianer seit jeher gefürchtet hatten, trat ein. Die Zungaré rissen das Königreich an sich und zwangen die Hadalianer in Knechtschaft, um die vielen polymetallischen Stoffe zu gewinnen, die das Universum benötigte: Nickel, Mangan, Kobalt, Gold, Kupfer, andere Metalle und seltene Erden. Ihre Gier wurde von Tag zu Tag größer, und bald wurde ersichtlich, dass das Volk, das sie unterjocht hatten, nicht ausreichen würde, um in den Minen zu arbeiten. Sie brauchten mehr Arbeitskräfte, und so setzten sie es sich in den Kopf, andernorts nach ihnen zu suchen, um sie zu versklaven.

„Wir müssen uns beeilen, Samudrakumari. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.“
„Ich weiß, Padaguboodam. Mackouhanuman wird jeden Moment mit seiner Armee zu uns stoßen. Hoffentlich passiert Muthukaruppan nichts Schlimmes.“
Hinter einem Berg versteckt beobachteten die beiden Freunde mit Entsetzen, wie die Bewohner durch das riesige Tor der Unterwasserstadt kamen und gingen. Die Festung wurde von Makaras bewacht, großen bedrohlichen Kreaturen mit Elefantenrüssel, Krokodilsgebiss und Fischschwanz. Sie waren die neuen Söldner – die Zungaré hatten sie gefangen und sie zu Wächtern gemacht. Ein Hauch Nervosität lag in der Luft. Irgendetwas stimmte nicht. Die Bewohner hatten kaum das Tor durchschritten, da kamen sie auch schon mit allerlei Dingen beladen zurück; bald darauf drängten sie sich im Innern ungeheuerlicher Unterseeboote, die mit unbekanntem Ziel ausliefen. Man hätte meinen können, die Stadt entledige sich ihrer Bevölkerung.
„Hast du einen Plan?“
„Nein, habe ich nicht, hoffentlich hat Mackouhanuman einen.“
„Aber die Zeit drängt. Jede verschenkte Sekunde kann ihm zum Verhängnis werden. Wir können nicht einmal mit Gewissheit sagen, ob dein Geliebter noch am Leben ist.“
„Sei still, Padaguboodam. Sprich nicht vom Tod, das bringt Unglück.“
„Wie hast du Muthukaruppan eigentlich kennengelernt?“

Schon bald nach ihrer Machtergreifung in Hadali machten die Zungaré sich in der weiten Welt der Untersee auf die Suche nach neuen Arbeitskräften, um sie in die Sklaverei zu zwingen.

Sie waren listig und durchtrieben, sie gaben sich als Händler und Seefahrer aus, und so unterwanderten sie verschiedene Königreiche, um die Macht an sich zu reißen und Gefangene nach Hadali zu verschleppen.

Muthukaruppan legte Mambamuntu eine Halskette aus Blumen um den Hals. Sie hielt sein Gesicht zwischen ihren Händen und küsste ihn leidenschaftlich. Ein Kormoranschwarm zog über den gelben Himmel. Ihren Gewohnheiten treu bleibend, hatten die Verliebten sich anlässlich der Abreise Muthukaruppans am Ufer des roten Flusses verabredet.
„Nur wenige Tage, liebste Mambamuntu, sehr bald schon werde ich wiederkommen.“
„Ich weiß, Liebster, aber ich mache mir Sorgen um dich.“
Gemäß dem Brauch musste der zukünftige Bräutigam seiner Verlobten den „Glücksstern“ als Zeichen seines Mutes bringen. Doch dieser Stern befand sich in einer weit entfernten, gefährlichen Region, die Piraten und Sklavenhändler unsicher machten. Mambamuntu war zu Recht beunruhigt. Erst kürzlich hatten mehrere Patrouillen in der Umgebung ungewohnte Bewegungen vermeldet.
„Versprich mir, dass du zurückkehrst. Vergiss nicht unsere baldige Heirat.“
Mambamuntu hauchte einen Kuss auf seine Stirn und schaute ihm lange nach, als er sich traurig entfernte.

Muthukaruppan und die anderen versklavten Gefangenen wurden nach Kreyolistan gebracht. In diesem Reich lebten die Kreyolis, deren Körper eine Mischung aus Mensch und Fisch war. Einstmals war Kreyolistan ein Teil des mythischen verlorenen Kontinents Kumarikandam gewesen. Zu dieser Zeit hieß das Gebiet Mauritia. Es war ein von den Göttern verfluchter Ort, bewohnt allein von versklavten Individuen und Zeitarbeitern, die man aus ganz Kumarikandam hergeholt hatte, um das Land zu bewirtschaften; denn die Tritanis, die Bewohner Kumarikandams, erachteten es als entwürdigend, den Boden zu berühren. Eines Tages trat die große Katastrophe ein. Aufgrund des unterschiedlichen Geschwindigkeiten, mit denen die Polen und der Äquator des Planeten rotierten, verformte sich der Mantel des Planeten so sehr, dass die Kontinente schließlich auseinandergerissen wurden. Kumarikandam zerbrach in mehrere Teile und versank in den Tiefen des Ozeans. Während einige Teile vollständig und spurlos verschwanden, überlebten andere in absoluter Abgeschiedenheit, ohne aufseiten der Unterwasserbevölkerung besonderes Interesse zu wecken. Mauritia war ein solches Gebiet, das sich von Kumarikandam gelöst hatte und dabei versklavte Individuen, Arbeiter und verschiedene Völker mit sich riss, die die Katastrophe überlebten. All diese Bewohner, die zuvor mit ihren jeweiligen Ethnien lebten, fanden sich nun bunt gemischt in Mauritia wieder und teilten ein gemeinsames Schicksal. Sie bildeten eine neue Bevölkerung namens Kreyoli und benannten Mauritia in Kreyolistan um. Alles war gut bis zu dem Tag, als die Zungaré in dieses friedliche Land einfielen. Karuppusamy, der König von Kreyolistan, wurde mit dem Tod bedroht, wenn er den von den Eroberern gestellten Bedingungen nicht zustimmte. Sie forderten vom Fürsten, ihnen das Recht zuzusprechen, das Land als Anlaufstelle nutzen zu dürfen, um die versklavten Gefangenen auf der Überfahrt bis zu ihrem Ziel, Hadali, gefangen zu halten. Der Landesherr hatte keine andere Wahl als sich dieser als Bittgesuch getarnten Drohung zu beugen, andernfalls riskierte er, sein Königreich zu verlieren und das Leben seiner geliebten Tochter Samudrakumari zu gefährden. So verwandelte sich das dereinst schöne Kreyolistan in eine Strafkolonie, aus der nur noch Wehklagen und Trauergesänge nach außen drangen. Es konnte seinem Fluch nicht entkommen…

Samudrakumari konnte ihren Blick nicht von ihm abwenden, als sie ihn zum ersten Mal sah. Es war ein drückender Sommerabend. Die Luft war schwer, es wehte keine Brise, die Linderung versprochen hätte, und die reglosen Blätter in den Bäumen dösten in der Hitze.

Ungeachtet des Verbots, das ihr Vater ausgesprochen hatte, und weil sie die drückende Schwüle nicht mehr ertrug, war Samudrakumari mit ihren Freundinnen gekommen, um am Ufer des Pagliyaru die frische Luft zu genießen, jenem schönen violetten Fluss, der ihren Landsitz säumte. Am Fluss zu spielen, hatte ihnen furchtbar gefehlt. Das war ihr Lieblingsort zum Blumen pflücken oder Baden. Ohnehin waren die versklavten Gefangenen auf der anderen Seite des Flusses, sie liefen also prinzipiell keine Gefahr, gesehen zu werden oder sich von den Zungaré zurechtweisen zu lassen. Nach dem Blumen pflücken entschieden sie sich, baden zu gehen. Als sie sich dem Ufer näherten, bemerkte Samudrakumari ihn. Muthukaruppan war allein im Fluss und schien zu meditieren. Phosphoreszierende Sterne schwebten flimmernd um ihn herum und ließen ihn erstrahlen wie einen Gott. Die zwei Monde verstärkten noch ihren Schein, wie um seinen athletischen Körper zu erleuchten. Etwas Zauberhaftes ging von diesem Mann aus, eine königliche Ausstrahlung. Samudrakumari war neugierig zu erfahren, wer er war. Unter dem wachsamen Blick der Aufseher wandelten Männer und Frauen ohne klares Ziel in dem abgesteckten Bereich umher. Da Muthukaruppan ihre Anwesenheit spürte, öffnete er die Augen und sah, wie die jungen Mädchen ihn anschauten. Er war über den Anblick überrascht und betrachtete sie voller Bewunderung. Es war das erste Mal, dass er eine Kreyoli sah, denn nach ihrer Ankunft lebten die Gefangenen abgeschottet, bis sie nach Hadali gebracht wurden.
Er fand sie schön, mit ihrem Körper, der halb Mensch und halb Fisch war. Aber er hatte keine Zeit, sie weiter zu bewundern, denn eine Wache näherte sich ihm und befahl, das Wasser zu verlassen. Voller Bedauern kehrte er in den Kreis seiner Gefährten zurück. Jedoch blieb ihm die Zeit, ein rätselhaftes Schimmern im Blick der jungen Frau zu erhaschen.

„Also hast du noch nie ein Wort mit ihm gewechselt?“, fragte Padaguboodam überrascht.
„Nein… Aber wir kommunizierten schweigend“, antwortete Samudrakumari zögerlich, von dieser unvermittelten Frage in Verlegenheit gebracht. „Ich nahm die Gewohnheit an, oft zum Fluss zu gehen, um ihn anzuschauen. Ich versteckte mich und beobachtete ihn unauffällig. Aber er war nicht dumm, er durchschaute mein Spiel. Er wusste, dass ich da war, er spürte meine Anwesenheit, aber er wagte es nie, sich mir zu nähern. Ich weiß nicht, ob aus Furcht vor Repressalien oder einfach aus mangelndem Interesse. Mein Herz hatte für ihn zu schlagen begonnen; ich wollte ihn. Ich wollte, dass er bei uns bleibt. Ich wollte ihn aus dieser elenden Existenz befreien und mich mit ihm vereinen. Mein Vater erschrak, als ich ihm meine Entscheidung mitteilte. Er hätte mir meinen Wunsch allzu gerne erfüllt, hat er mir doch niemals etwas verweigert. Doch er fürchtete die Wut der Zungaré ebenso, wie er meine Sturheit kannte, und so hielt er es für geboten, mich zu dir zu schicken. Ich bitte dich um Vergebung dafür, dass ich diese ganze Liebesgeschichte zwischen Muthukaruppan und mir erfunden habe, aber ich hatte keine andere Wahl. Ich will ihn wirklich retten, verstehst du das?“
„Das hätte ich mir denken können, wie dumm ich doch bin! Wie hättest du auch nur je die Gelegenheit haben sollen, mit ihm zu sprechen, bei all den Wachen und dem Verbot deines Vaters. Aber bist du dir über das Risiko im Klaren, das du eingehst, indem du hierherkommst, um ihn zu retten? Du weißt noch nicht einmal, ob er dich liebt.“
„Ich weiß, Padaguboodam. Ich weiß, dass ich mich in große Gefahr begebe. Es tut nichts zur Sache, ob er mich liebt oder nicht. Am Ende werde ich ihn vor diesem bösen Abenteuer bewahrt haben.“
„Ich wusste, du bist eine Traumtänzerin, Samudrakumari, aber ein solches Risiko einzugehen ist purer Leichtsinn. Was soll ich nur deinem Vater sagen? Als sein bester Freund und Verbündeter habe ich niemals gegen seinen Willen gehandelt. Ich hätte ihn benachrichtigen sollen, und ich bereue, es nicht getan zu haben. Du wirst mich noch in große Schwierigkeiten bringen.“
„Mein Vater könnte stolz sein auf seine Tochter. Und überhaupt, alle sind froh über das Ende der Zungaré. Es ist höchste Zeit, ihre Herrschaft zu beenden. Wenn wir dafür etwas tun können, wird mein Vater mehr als glücklich darüber sein. Vertrau mir, wir sind auf der richtigen Seite der Geschichte. Wenn du nur ein bisschen über unsere Strategie nachdenken würdest, anstatt jetzt alles in Frage zu stellen.“ All das sagte sie halb lächelnd, halb verärgert. „Da ist ja endlich dein General Mackouhanuman, er hat uns sicher Wichtiges zu berichten.“
„Nun, hier sind die letzten Nachrichten.“
Mackouhanuman, eine Mischung aus Affe und Amphibie, war nicht nur ein gefürchteter Krieger, sondern auch ein hervorragender Stratege. Seine Einheiten wurden von allen Armeen gefürchtet. Damit war er der Einzige, der Muthukaruppan aus diesem Alptraum befreien konnte.

Mambamuntu schreckte im Schlaf hoch. Sofort spürte sie, dass etwas nicht stimmte. Sie öffnete die Tür der Kabine und stieß beinahe mit Djibril zusammen, der ihr die Lage erklärte.
„Ist es noch weit?“
„Ich habe nicht die leiseste Ahnung, Mambamuntu. Alles, was ich weiß ist, dass wir uns in große Gefahr begeben, wenn wir noch tiefer sinken. Orpheus wird dem nicht standhalten.“
Mambamuntu schien ratlos. Sie waren noch weit von ihrem Ziel entfernt und sie kannte niemanden in der Umgebung, den sie hätten um Hilfe bitten können.
„Inyoni, wo genau sind wir?“
„Wir wissen es nicht, Mambamuntu. Baobab ist außer Funktion, es funktioniert nicht mehr. Wir waren in der Nähe von Kreyolistan, als es ausfiel.“
„Kreyolistan, was ist das?“
„Das Königreich der Kreyolis, das sich vor langer Zeit von Kumarikandam gelöst hat“, antwortete Djibril. „Aber warte mal, Inyoni! Wenn wir in der Nähe von Kreyolistan waren, bedeutet das doch, dass wir zu tief gesunken sind. Denn Kreyolistan liegt in den tiefsten Abgründen, nicht wahr?“
„Das stimmt, warum habe ich nicht früher daran gedacht!“
„Nun gut, wir müssen so schnell wie möglich aufsteigen und alle an Bord vorbereiten!“

Mambamuntu spürte neue Kräfte in sich erwachen. Es war an der Zeit, Muthukaruppan zurück nach Hause zu bringen, sie hatte lange genug gewartet.

Mehr als zwei Jahre waren nun vergangen seit ihrer Trennung, und ihr Verlobter war immer noch nicht heimgekehrt. Mambamuntu hatte Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, um herauszufinden, was aus ihrem Geliebten geworden war. Niemand konnte ihr eine konkrete Antwort geben. Man glaubte ihn tot, das Gerücht ging um, er hätte sich mit einer geheimen Liebhaberin davon gemacht, aber Mambamuntu wollte diesem Gerede keinen Glauben schenken. Sie war davon überzeugt, dass ihm ein Unheil zugestoßen war, nur wusste sie nicht, welches. Eines Tages suchte sie ein Seefahrer auf. Er kehrte von einer langen Reise zurück und sagte ihr, dass er, im Zuge seines Aufenthalts auf Kreyolistan, von einem gewissen Muthukaruppan gehört hatte. Er konnte ihr berichten, dass der junge Mann von den Zungaré entführt und nach Hadali verschleppt worden war. Trotz der düsteren Nachricht durchströmte Mambamuntu eine große Freude. Er war also am Leben! Sie mussten sich gleich auf die Suche nach ihm machen und ihn so schnell wie möglich wiederfinden, denn in Hadali gingen ungute Dinge vor sich. Das Königreich war zum Gegenstand von Begehrlichkeiten geworden und mehrere Könige hegten Ambitionen, es zu erobern, um sich seine Reichtümer zu sichern. Die Zungaré waren mehr denn je auf der Hut. Aber trotz ihrer Wachsamkeit gelang es schließlich den Gautaren, ein von weit her gereistes Volk von Eroberern, Hadali anzugreifen, und sie waren kurz davor, das Königreich in ihre Gewalt zu bringen. Als Mambamuntu über diese Geschehnisse benachrichtigt wurde, versammelte sie ihre Lwasarmee und beschloss, Kurs auf Hadali zu nehmen. Es galt nun, sich den Angriff der Gautaren zu Nutze zu machen, um Muthukaruppan zu retten. Mackouhanuman würde dieselbe Strategie verfolgen.

„Wer ist das?“ Samudrakumari wurde von den Neuankömmlingen überrascht, die wie sie selbst versuchten, sich hinter dem Gebirge zu verstecken.
„Ich weiß es nicht. Hast du eine Idee, Mackouhanuman?“
„Das ist Mambamuntu, die Prinzessin von Tainos mit ihrer Lwasarmee.“
„Aber was macht sie hier?“ Samudrakumari erschien besorgt. „Kannst du jemanden zu ihnen schicken, um herauszufinden, was sie hier verloren haben?“
„Das ist nicht nötig, Samudrakumari. Meine Spione haben mich bereits darüber in Kenntnis gesetzt, was sie hier wollen.“
„Und zwar?“
Mackouhanuman blieb keine Zeit zum Antworten, denn sie wurden von einem großen Getöse unterbrochen. Es gab eine gewaltige Explosion und das Eingangstor stürzte in sich zusammen. Drei weitere Explosionen folgten und zerstörten alle anderen Eingänge. Hunderte AMX 500 stürzten sich in die Festung und griffen die Zungaré an, die, ohne sich zu verteidigen, die Flucht ergriffen. Die Gautarenarmee war zu stark und ihr Angriff zu geschickt geplant, um den Zungaré eine Chance zum Gegenangriff zu lassen. Djibril und Mackouhanuman nutzten den Moment, um ihre Truppen zu bündeln, und machten sich auf die Suche nach dem Ort, an dem die versklavten Gefangenen festgehalten wurden. Es war ein Leichtes für die beiden Generäle, sich der Wachen und der kleinen Einheit der Zungaré zu entledigen. Umso größer jedoch war ihre Überraschung, als sie die Zitadelle erreichten. Niemand war mehr dort.
„Wo sind nur all die Gefangenen hin?“, fragte Mambamuntu Djibril, der sich dieselbe Frage stellte. Er hielt Ausschau nach Mackouhanuman, doch konnte er ihn nirgends entdecken. Er hatte die Vermutung, dass dieser wusste, wo die Gefangenen waren. Und tatsächlich, er irrte sich nicht. Mackouhanuman hatte das Verlies gefunden, in dem Muthukaruppan und seine Freunde festgehalten wurden. Doch eine weitere Überraschung erwartete sie.’
„Was ist denn das, Mackouhanuman?“

Samudrakumari traute ihren Augen nicht angesichts des Schauspiels, das sich ihnen bot. Tausende von Seesternen verbanden sich, sie fügten sich ineinander, um eine Mauer zu bilden.

So schlossen sie die Männer und Frauen in einem Kreis ein, die machtlos das ungewöhnliche Phänomen beobachteten.
„Was machen all diese Sterne?“, fragte Mambamuntu ihrerseits und wie als Antwort auf die düstere Miene Mackouhanumans.
„Wir müssen uns beeilen, uns bleibt keine Zeit. Die Zungaré werden Muthukaruppan und die anderen Gefangenen einmauern.“
„Sie einmauern? Aber wie?“
„Siehst du diese Seesterne? Nun, sie wurden so programmiert, dass sie die Gefangenen im Falle eines Angriffs lebendig einmauern.“
„Aber warum? Das ist ja ungeheuerlich!“
„Die Zungaré haben das getan, um ihren Schatz zu bewahren. Alle Bergbauförderungssysteme und alle Zugangscodes für die Minen liegen verschlossen in diesem Verlies, und sie glauben, dass wenn sie die Gefangenen einmauern, sie ihren Schatz bis zu ihrer Rückkehr absichern können.“
„Na dann, worauf warten wir noch, wir müssen die Sterne loswerden und Muthukaruppan befreien! Los, zum Angriff!“
Mambamuntu machte Anstalten, sich auf die Sterne zu stürzen.
„Das ist nicht so einfach, Mambamuntu, erwiderte Mackouhanuman. Das sind keine echten Sterne, also ich meine, sie haben keinen Körper. Es sind virtuelle Sterne.“
„Und was sollen wir jetzt tun? Wir können unmöglich mit verschränkten Armen hier herumstehen und die Männer und Frauen hinter dieser Mauer im Stich lassen.“ Samudrakumari schien hilflos.
„So tu doch etwas, Djibril, in Gottes Namen! Ich bin nicht den weiten Weg bis hierher gekommen, um ihn nun auf diese Weise verschwinden zu sehen“, flehte Mambamuntu ihren General verzweifelt an.
„Padaguboodam ist die einzige Person, die uns nun noch retten kann. Aber wo ist er?“
Mackouhanuman und die anderen machten sich daran, Padaguboodam zu suchen.

„Sepdt, Pô Tolo, Sigui Tolo…“ Padaguboodam murmelte unverständliche Worte vor sich hin und malte dabei mysteriöse Zeichen in den gelben Himmel. Seine Kanaga-Maske verlieh ihm eine seltsame Aura, mit der Samudrakumari nicht vertraut war.
„Padaguboodam ist nicht nur der König von Sakalavanur, er ist auch der große spirituelle Meister der Maskengesellschaft. Als solcher ist er im Besitz des Wissens von den Gestirnen, er kennt all ihre Geheimnisse. Um die Seesterne aufzuhalten und zu verhindern, dass sie ihre Mauer bauen, muss es ihm gelingen, das Himmelsgestirn in eine Konstellation zu bringen, sodass der dämonische Prozess gestoppt wird. Das ist kein einfaches Unterfangen. Also, lassen wir ihn seine Arbeit machen, uns bleibt nur noch zu beten, dass es ihm gelingen möge.“
Während Mambamuntu und Samudrakumari sich unauffällig entfernten, rief Mackouhanuman seine Leute zusammen und wartete auf seinem Posten.
Zunächst vollzog Padaguboodam die Bewegungen des Dama. Dieser Tanz hatte die Macht, den Tod zur Umkehr zu bewegen. Dann nahm er Sigui Tolo und setzte ihn rechts neben Pô Tolo. Pô Tolo war der schwerste Stern. Er enthält die drei Grundelemente Wasser, Feuer, Luf und ist der wichtigste Stern, der die ganze Konstellation trägt. Er ist fest und flexibel zugleich, und so erlaubt er verschiedene Kombinationen. Schließlich bat Padaguboodam den Stern Emma Ya, sich etwas weiter unten neben Nommo zu stellen. Yorugu schloss sich Khartikya und Tarakya an. Diese Konstellation erlaubte es den Sternen, eine gleichmäßige Wölbung zu behalten. Das war besonders wichtig, um die Seesterne in ihrem Vorhaben zu unterbrechen. Er nahm den letzten Stern, Dana Tolo, und setzte ihn an das Ende der Kette. Das sollte reichen. Erschöpft, aber zufrieden mit seinem Werk suchte er Mackouhanuman und seine Freunde auf.

Muthukaruppan konnte deutlich spüren, dass sich etwas veränderte. Die Seesterne schienen in ihrer Formation gestört, ihre Bewegung verlangsamte sich. Er und seine Freunde hatten große Angst bekommen, als sie sahen, wie tausende von Seesternen sie umzingelten. Sie hatten sofort begriffen, dass die Zungaré sie lebendig einmauern ließen. Sollte sein Leben also auf diese Weise zu Ende gehen? Zu sterben, ohne vorher seine Geliebte noch einmal gesehen zu haben, erschien ihm ungerecht. Er, der tapfere Kämpfer von Sakalavanur, sollte also auf diese Weise sterben? Welch ehrloses Ende! Zu sterben war ihm einerlei, aber nicht unter solchen Bedingungen! Zugleich dachte er, dass es besser sei zu sterben, als weiter in Knechtschaft unter den Zungaré zu leben. Die Mauer wurde sichtlich größer und größer. Alles schien ausweglos. Er schloss die Augen und stellte sich das Antlitz Mambamuntus vor. Lieber wollte er mit dem Bild seiner Geliebten vor dem inneren Auge aus dieser Welt scheiden, als diesen Seesternen beim Bau seiner letzten Ruhestätte zuzusehen. Doch als kurz darauf Freudenschreie an sein Ohr drangen, öffnete er die Augen. Nach und nach stürzte die Mauer ein, und die Seesterne zerstoben in alle Winde. Dann sah er sie plötzlich, mit ihrem Lächeln: Mambamuntu war da, bereit, ihn in ihre Arme zu schließen. Tränen des Glücks überströmten seine Wangen. Auch sie lachte und weinte zugleich. Er kam aus dem Kerker und schmiegte sich in ihre Arme.
Mambamuntu, Muthukaruppan und die Lwasarmee nahmen Abschied von Karuppusamy und schickten sich an, Kreyolistan zu verlassen. Inyoni machte Orpheus bereit und programmierte den Kurs auf Sakalavanur.
„Da fällt mir ein, etwas ist doch seltsam. Ich habe das Gefühl, Djibril nicht an Bord gesehen zu haben.“ Beunruhigt stellte Muthukaruppan Mambamuntu die Frage.
„Djibril? Das musst du Samudrakumari fragen“, antwortete sie mit einem Augenzwinkern.